Der hl. Joseph

von P. Miguel Stegmaier


„Quis et qualis homo fuerit beatus Joseph?“ (Sermo sancti Bernardi Abbatis) „Wer und was für ein Mann ist der heilige Joseph wohl gewesen?“ (Predigt des hl. Abtes Bernhard)

Die Auskünfte, die das Evangelium über den heiligen Joseph gibt, reichen nicht aus, sein Leben darzustellen. Das soll uns aber nicht hindern, über ihn zu sprechen. Wir ahnen doch schon, daß der Mensch, der in so enger Verbindung mit Jesus und Maria lebte, eine selten „edle Seele“ gehabt haben muß.

Der heilige Epiphanias sagt darüber: „Obgleich arm und dürftig, in ganz gewöhnlichen Verhältnissen lebend, obgleich von den Augen der Welt unbekannt und ungeachtet, war doch vor dem Angesichte Gottes keiner edler und reicher als Joseph, weil keiner zu einer solchen Auszeichnung erhoben wurde.“ Und der hl. Bernardin von Siena erweitert: „Gott vereinte mit dieser gebenedeiten Jungfrau keine andere Wirksamkeit und Tugend als eine solche, die der ihrigen höchst ähnlich war.“ Wollten wir es doch versuchen, die Seele Josephs in den einzelnen Berichten des Evangeliums zu entdecken, finden wir einige wenige Szenen, über die der hl. Leonard von Porto Maurizio, aus dem Franziskanerorden, schreibt: „Schweigen also auch die Evangelisten und übergehen fast alles, was sie von den hohen Vorzügen und vollkommenen Tugenden zu seinem Ruhm hätten sagen können, so genügt mir schon dies eine, daß sie ihn den Mann Mariens nennen. Das heißt, unter allen Lebenden war er dem vollkommensten Werk, das im Bereich der geschöpflichen Wesen aus den Händen Gottes hervorging, am ähnlichsten. „In der Tat, wie heilig mußte dieser Mann gewesen sein, wie rein in seinen Gedanken und wie zart in seinem Empfinden, daß er Maria unter seinen Schutz nahm, obwohl das Geheimnis, das sich in ihrem Schoß regte und dessen göttlicher Ursprung ihm verborgen war, ihn tief erschreckt hatte.

Trotz allem wird Joseph „der Mann Mariens“ genannt. Der Engel selbst wendet sich mit dieser Bezeichnung an ihn, und deshalb nennt ihn die Kirche im Kanon der hl. Messe ja auch „Virginis sponsi“ (Mann der Jungfrau Maria). Der hl. Kirchenlehrer Thomas von Aquin gibt uns eine weitere Antwort dazu: „Diejenigen, die Gott zu etwas auserwählt, bereitet er vor und stattet er aus, daß sie zu dem Amt, wozu er sie bestimmt, tauglich befunden werden.“ Joseph ist also auserwählt, der Mann Mariens zu werden. Als der Engel zu Joseph sagte: „Joseph, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen, denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist“ (Mt. 1, 20-21), was nichts anderes bedeutete, als daß Maria den Erlöser des Volkes Israel zur Welt bringen werde, ihre Überraschung darüber war groß, denn auch sie erwartete gemeinsam mit ihrem Volk diesen ungeduldig.

Gerade die „messianische Hoffnung“ zeichnete die Religion der Juden aus. Der Eifer der Frommen wandte sich der Zukunft zu: einer wunderbaren Zukunft, in der der Messias sein Volk retten und ein Königreich gründen werde, dessen Herr Gott selbst sein würde. Von dieser Hoffnung war Joseph tief durchdrungen und überzeugt; er erwartete noch ungeduldiger aber glücklicher als der weise Simeon die Ankunft des Messias und das Heil seines Volkes: „Joseph ist weit glücklicher als Simeon; er trägt das Jesuskind nicht bloß einmal auf seinen Armen, sondern tausendmal“ (Johann Baptist de Lectis d’Orlonia)“Viele erwarteten den Messias vor allem einer politischen und zentralistischen Neuordnung wegen. Denn der Messias malten sie sich auch aus als den „Befreier des Volkes“, das selbst nicht imstande war, die Befreiung zu erlangen. Joseph, als „vir justus“ (Gerechter) hegte den Wunsch nach nationaler Befreiung gegen die Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten der fremden römischen Besatzung.

Joseph war ein Mann seiner Zeit, doch ging seine Hoffnung weit über das bloße Niveau politischer Erwartungen hinaus. Er erinnerte sich an die prophetischen Aussprüche von Jeremias und Ezechiel, die einen neuen Bund ankündigten, in dem das Volk in „einem neuen Geist und mit neuem Herzen“ (Jer. 31, 31-33, Ezech. 36, 25-29) wirklich seinem Gott angehören würde. Das ideale Volk der Zukunft sollte mit göttlicher Heiligkeit erfüllt werden. Deshalb war sein Leben im Allgemeinen ein stilles Vorbereiten der Erlösung und glanzvollen Offenbarung Christi in der Tradition der Propheten. Wie standen doch, anscheinend, andere Persönlichkeiten der messianischen Zeit durch ihr Amt Gott näher. Der Priester Zacharias zum Beispiel oder die letzten Propheten. Und doch vertraute Gott nicht ihnen seinen eingeborenen Sohn an, sondern den schwieligen, rissigen Händen eines einfachen Mannes, der keine theologische Bildung besaß, den die Pharisäer verachteten, der lediglich von ganzem Herzen fromm war.

Der Evangelist Matthäus berichtet uns: „Als Joseph vom Schlafe erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich“ (Mt. 1, 24). Die Botschaft des Engels gab seiner Hoffnung neuen Aufschwung und sein Glaube ist hier tatsächlich offenbar geworden. Deshalb nahm er Maria voll Vertrauen zu sich, mit dem ganzen Geheimnis ihrer Mutterschaft, er nahm sie zu sich zusammen mit dem Sohn, der durch das Wirken des Heiligen Geistes zur Welt kommen würde, als Messias seines Volkes. Und so lebte er Seite an Seite mit Jesus und Maria in Nazareth und die drei bildeten eine „Heilige Familie“, deren allgemeine Bedeutung weit über jede private hinausging. Zwischen ihr und dem Erlösungsplan Gottes herrscht eine innige Beziehung; war sie doch von grundlegender Bedeutung für die Kirche, das Reich Christi und die ganze Menschheit.

Joseph dachte an Gott, er redete mit Gott, er tat seine Arbeit für Gott. Auf diese Weise hatte er sich von aller bösen Begierde gereinigt und war des einzigartigen Gnadenvorzugs würdig geworden: „Bräutigam der Allerseligsten zu heißen und den Erlöser der Welt auf den Armen zu halten. „Bei Joseph bildete sich eine ganz übernatürliche Hoffnung heraus durch den täglichen Kontakt mit Jesus. Inniger Glaube und unerschütterliches Vertrauen lebten in ihm auf die Güte Gottes. Die Liebe unterdrückte bei ihm jede Regung der Bitterkeit. Was der hl. Joseph für seine Familie leistete und ihr bot, hat er damit der Kirche und auch uns geboten. Ein so liebevolles Verhalten belohnt Gott; dafür ist die Seele Josephs mit größter Freude erfüllt worden: „Wohlan denn, du guter und getreuer Knecht, weil du in Wenigem treu gewesen bist, will ich dich über Vieles setzen. Geh ein in die Freude deines Herrn.“ Der hl. Bernhard sagt sehr schön: „Joseph ist von Gott dazu bestimmt worden, gleichsam der Verwalter seiner großen Geheimnisse auf der Erde zu sein, das erhabene Geheimnis der Menschwerdung des eingeborenen Sohnes zu kennen und zu fördern, der Bräutigam Mariens und Beschützer ihrer Jungfräulichkeit zu sein und Pflegevater Jesu Christi genannt zu werden. Welch ein Glück für ihn, Jesus Christus nicht nur zu sehen, sondern auch ihn zu hören, ihn an sein Herz zu drücken, ihn von einem Ort zum andern zu tragen, ihn zu liebkosen, zu umarmen, zu nähren, und Anteil zu nehmen an jenen unaussprechlichen Geheimnissen, welche den Augen der Welt verborgen gewesen sind!“

Das ganze Leben des Heiligen bildete eine lange Reihe von ungezählten, wichtigen Diensten, die er dem göttlichen Wort, seiner Menschwerdung und seiner Erziehung im Schoß der Familie von Nazareth geleistet hat mit Fleiß, sowie Demut und Frömmigkeit, nicht im Evangelium direkt nachzulesen aber auch nicht Legende. Josephs Verhalten als „Verwalter“ auf Erden der Geheimnisse Gottes, beweist die Bedeutung der Mitarbeit, zu der auch wir berufen sind, um durch unsere Hoffnung dem Werk Gottes zu dienen. Gott verlangte von Joseph die Haltung der Hoffnung, und seine Hoffnung war ein Flehruf an den Erlöser, sein Werk zu vollziehen: „Joseph von Nazareth, der Glauben hatte und gegen jede Hoffnung hoffte“ (Papst Johannes Paul II.).

Dieser Heilige liebt die Menschen, die sich in sehnsüchtiger Erwartung ihm zuwenden. Wenn Joseph auch nicht direkt und sichtbar an der Wiederaufrichtung des Gottesreiches arbeiten konnte, so lehrt er uns doch, durch das innere Verlangen des Herzens an der Ausbreitung des Reiches Christi mitzuwirken. Er kann uns helfen, aus unserer Hoffnung ein Beten zu machen, das göttliche Gnade auf die Menschheit herabzieht. Schutzpatron der Kirche, Schutzpatron der Familie, Schutzpatron der Sterbenden – mit diesen überirdisch hohen Ehrentiteln belohnte die Kirche ein männlich opferbereites und gerechtes Herz, eine männliche, reine und ernste Liebe: „Der Herr hat den Gerechten auf rechtem Weg geführt. Und ihm das Reich Gottes gezeigt“ (Sap. 10, 10). Wir Menschen freilich haben lange gebraucht, um die innere Größe dieses Mannes zu verstehen. Deshalb lassen wir uns jetzt die Ehre Josephs angelegen sein. Und wenn sich eine Gelegenheit bietet, seine Verehrung zu empfehlen und zu verbreiten, lassen wir sie nicht ungenutzt vorübergehen: „Geht zu Joseph“ (Gen. 41, 55). Das war der Rat und sollte der Trost sein, den Pharao seinem armen Volk gab. Können wir diesen Rat nicht auch denen geben, die uns ihre Not klagen?

Es ist ein leichtes Apostolat für den heiligen Joseph, das ihm sehr wohlgefällig, dem Nächsten und uns von Nutzen sein wird: „Zu meinem Fürsprecher und Herrn erwählte ich den glorreichen heiligen Joseph und empfahl mich ihm recht inständig. Und in der Tat! Ich habe erkannt, daß dieser mein Vater und Herr gewesen, der mich sowohl aus meiner damaligen Not als auch aus anderen und noch größeren Nöten, die meine Ehre und das Heil meiner Seele betrafen, gerettet und mir sogar noch mehr verschafft hat, als ich zu bitten gewußt“ (hl. Theresia von Ávila).


Bild: Ikone des hl. Joseph | Foto: Heike Hannah Lux