von P. Marc Brüllingen
Jetzt in der Fastenzeit und der sich daran anschließenden Passionszeit sollen wir nicht nur das bittere Leiden und Sterben Jesu Christi betrachten, sondern auch der schmerzhaften Mutter gedenken.
Die zwei wohl bekanntesten Darstellungen der schmerzhaften Mutter sind: „Maria unter dem Kreuz“ und „der Leichnam Jesu auf dem Schoße Marias“ (Pietà).
Die katholische Kirche feiert zweimal im Jahr ein Fest zu Ehren der schmerzhaften Mutter, am Freitag nach dem ersten Passionssonntag und am 15. September. Letzteres wurde im Jahre 1814 von Papst Pius VII. eingeführt, anläßlich seiner glücklichen Rückkehr aus der Gefangenschaft Napoleons. Papst Pius VII.
Papst Pius VII. ist es auch gewesen, der die Litanei zur schmerzhaften Mutter verfaßt hat. Im Evangelium vom Fest der Sieben Schmerzen Marias heißt es: „In jener Zeit standen bei dem Kreuze Jesu seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Kleophas und Maria Magdalena. Als Jesus seine Mutter und den Jünger, den er liebhatte, dastehn sah, sprach er zu seiner Mutter: Frau, siehe deinen Sohn! Hierauf sprach er zu dem Jünger: Siehe deine Mutter! Und von dieser Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“
Das Wort des sterbenden Sohnes stellt die Mutter in den Schutz des Johannes und Johannes in den Segen Marias. Das Abschiedswort des sterbenden Herrn an Seine Mutter und an Seinen Freund hat eine Tiefe, welche die Christenheit erst allmählich im Laufe der Jahrhunderte erkannt hat und erkennt; denn auch heute ist das Geheimnis dieses Wortes noch nicht nach allen Seiten hin erschlossen, das Geheimnis der geistigen Mutterschaft Marias über die ganze Christenheit.
Das christliche Gemüt begann zu ahnen und verstand es dann immer deutlicher, daß Jesus am Kreuz Maria nicht nur Johannes, sondern uns allen zur Mutter bestellt hat, und daß nicht allein Johannes, sondern wir alle Söhne und Töchter Marias sind. Johannes ist nur unser Vertreter. Maria ist die Mutter der ganzen in Christus zusammengefaßten Menschheit.
Das Evangeliumswort, für sich allein genommen, läßt allerdings diesen weittragenden Schluß nicht zu. Dort ist nur von Johannes die Rede. Ihm, ihm allein, wird beim Kreuz die Auszeichnung und die Pflicht zur Sorge für Maria übergeben. Und auf ihn, auf ihn allein, auf keinen anderen Jünger, wird Maria wie auf einen Sohn verwiesen, dem sie ihrerseits Mutter sein soll, sein darf. Die Väter der Kirche bezogen darum diesen Text durchwegs nur auf das Mutter-Sohn-Verhältnis, das zwischen Maria und Johannes bestand, mit keinem Wort auf eine geistige Mutterschaft Marias über uns alle.
Erst bei Origines (+254) findet sich eine Stelle, welche jenes Wort des Herrn auch auf die Christusgläubigen, Christusliebenden ausweitet (Origines, in Joannem, vol. 6,14,32). Doch vergingen noch Jahrhunderte, bis im Abendland erstmals der Abt Rupert von Deutz anfangs des 12. Jahrhunderts, und dann ganz klar und unmittelbar Dionysius der Kartäuser im 15. Jahrhundert jenes Wort des Herrn mit einer allgemeinen geistigen Mutterschaft Marias in Verbindung brachten.
Wir wollen dem Heiland für sein Leiden und Sterben zutiefst dankbar sein, aber auch für die Tatsache, daß er uns seine heiligste Mutter uns zur Mutter gegeben hat. Aus diesem Grunde gebührt auch Maria unsere Dankbarkeit, da sie durch ihr Leiden, durch ihre Schmerzen, ja durch ihr Mitleid(en) wesentlichen Anteil an unserer Erlösung miterwirkt hat.
Bitten wir daher die schmerzhafte Mutter jederzeit um ihre Hilfe, um ihren Beistand, wenn uns Niedergeschlagenheit, Trauer oder sonstiges Leid heimsuchen. Sie kann uns helfen, sie will uns helfen, und sie wird uns auch helfen, wenn wir sie nur vertrauensvoll und inständig um Hilfe bitten.
Foto: Heike Hannah Lux