… am 2. Februar 1975 bei der Priesterweihe im Kloster Paring:
„Das Fest Maria Lichtmeß oder … Darstellung des Herrn ist heute im neuerstandenen Kloster Paring durch eine Priesterweihe ausgezeichnet … Schon der alte Name Maria Lichtmeß ist bedeutsam für diese Priesterweihe; denn Priester und Maria gehören eng zusammen. Aber von noch größerer Bedeutung scheint mir der … Name zu sein: Darstellung Jesu im Tempel. Und hier müssen wir etwas weiter ausholen. Im Evangelium steht der inhaltsschwere Satz: ‚Jede männliche Erstgeburt soll dem Herrn geweiht sein‘ (vgl. Ex. 13,2. 12. 15). Diese Vorschrift erinnert an ein Ereignis beim Auszug der Israeliten aus Ägypten. Der König hatte das Volk nicht ziehen lassen. Gott sandte eine Plage nach der anderen, um den König zur Sinnesänderung zu bewegen. Als alles nichts nützt, greift Gott zu der schlimmsten Plage: Jede Erstgeburt der Ägypter muß sterben. Und so geschah es. Und nun läßt der König das Volk ziehen. Von da an ist nun auch die männliche Erstgeburt der Israeliten, die damals verschont geblieben waren, dem Herrn zugehörig. Er, Gott, erhebt Anspruch.
Im lateinischen Text steht das vielsagende Wort: consecrabis, du sollst die Erstgeburt dem Herrn weihen. Die Priesterweihe ist eine solche Konsekration Gott gegenüber, und das ist die erste Richtung, die in diesem Sakrament zutage tritt: dem Herrn, Gott geweiht. Gott hat seine Hand auf einen Menschen gelegt, er nimmt ihn in seinen Dienst, er durchdringt ihn ‚mit dem Feuer seiner Liebe‘ und ‚gestaltet ihn um‘ (Augustinus). Das ist unendlich mehr als eine reine Beauftragung, wie das heute sogar von hoher Seite behauptet wird. Es ist die totale Inbesitznahme eines Menschen durch Gott, der eine umwandelnde Kraft innewohnt, und dem entspricht von seiten des Menschen die totale Hingabe, wie das heute in der lectio brevis (Kurzlesung) der ersten Vesper (gemeint ist hier in der erneuerten Form der Liturgie) mit den Worten des Hebräerbriefes von Christus ausgesagt wird: ‚Darum spricht Christus beim Eintritt in diese Welt: Opfer und Gaben verlangtest du nicht, einen Leib aber hast du mir bereitet; an Brand- und Sühnopfern findest du kein Gefallen. Da sprach ich: siehe, ich komme … um deinen Willen zu vollbringen‘ (Hebr. 10,5-7). Das ist nun Ihre Aufgabe: mit Ihrem ganzen Sein und Handeln einzugehen in den Willen Gottes, Gott hingegeben und geopfert, so wie ihr Ordensgründer, der hl. Augustinus es sagt: ‚Demnach ist der Mensch überhaupt, wenn er durch den Namen Gottes geweiht und Gott überantwortet ist, ein Opfer, sofern er der Welt stirbt um Gott zu leben. – Ipse homo, Dei nomine consecratus et devotus, inquantum mundo moritur, ut Deo vivat, sacrificium est.‘ (De Civitate Dei, i. X, c. VI) Ein wunderbares Wort. Wohl klingt das Wort der Welt vom Absterben negativ, aber wir dürfen nicht vergessen, dieses Absterben ermöglicht das Leben, das Leben für Gott. Leider ist diese erste Ausrichtung des Priesters auf Gott vielfach in Vergessenheit geraten, und die Krisis der Priester von heute rührt nicht zuletzt davon her, daß man diese innerliche consecratio vergißt und sogar leugnet.
Das heutige Festgeheimnis sagt uns aber ein Zweites, das auf die andere Richtung des Priestertums hinweist. Jede männliche Erstgeburt, so hörten wir, ist dem Herrn geweiht und damit eigentlich ihm überlassen, so wie die Erstgeburt der Ägypter. Aber nun bestand im mosaischen Gesetz die Möglichkeit, diese Erstgeburt gleichsam loszukaufen und auszulösen, sie also zurückzuerhalten, und dafür mußte ein Preis bezahlt werden, im heutigen Evangelium ‚ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben‘, das Opfer der Armen. Das bedeutet: der Vater im Himmel gibt seinen Sohn den Eltern zurück, damit er seine Aufgabe auf Erden erfüllen kann, die Erlösung der Menschen. Der Priester ist Gott geweiht ganz zu seinem Dienst und doch zu gleicher Zeit, wie der Hebräerbrief sagt: ‚Für Menschen bestellt, damit er Gaben und Opfer darbringe für die Sünden‘ (5,1). Das alles scheint selbstverständlich, ist es aber nicht.
So wie man bei der ersten Ausrichtung des Priesters auf Gott hin die Konsekration leugnet und durch eine Beauftragung ersetzt, so verlegt man heute die zweite Ausrichtung des Priesters auf die Menschen hin in das rein Soziale, ähnlich wie man heute da und dort in der Kirche fast nur mehr einen Verein für caritative Aufgaben und Entwicklungshilfe sieht. Da haben doch jene Drehbuchautoren viel tiefer gedacht, die vor Jahren den Film drehten ‚Gott braucht Menschen‘. Ich weiß nicht, wer diesen Film gesehen hat und sich noch erinnert: Ein Inseldorf, das nicht gerade in gutem Ruf steht, verliert seinen Pfarrer. Kein Priester will auf diese verrufene Insel. Und auch der Bischof schickt niemanden mehr. Gewiß, diese verwegenen Fischer, diese Strandräuber, sind wirklich keine Heiligen. Aber sie wollen, wie sie sagen, nicht sterben wie die Hunde, sie wollen eine Segenshand, die sich erhebt zum Zeichen der Lossprechung. Sie wollen einen Menschen, der ihnen ins Gewissen redet. Sicherlich, Gott ist überall, aber man will ihn doch nahehaben, man will wissen: Wenn ich dahin gehe in die Kirche, dann weiß ich: hier ist er ganz bestimmt. Und diese Menschen wollen einen, der ihnen die Gegenwart Gottes verbürgt. Sie wollen einen, der sie durch das dunkle Tor des Todes hindurch geleitet in ein besseres Leben. Das wollen Menschen vom Priester.
Das hat sogar einer gespürt, den man den Mörder Gottes genannt hat, Friedrich Wilhelm Nietzsche, der vor 75 Jahren (im Jahr 1900) gestorben ist und der von den Priestern einmal sagt: ‚ Es bedarf nämlich auch für den seelischen Unrat der Abzugsgräben und der reinlichen, reinigenden Gewässer drin, es bedarf rascher Ströme der Liebe und starker, demütiger, reiner Herzen, die zu einem solchen Dienst der nichtöffentlichen Gesundheitspflege sich bereitmachen und opfern – denn es ist eine Opferung, ein Priester ist und bleibt ein Menschenopfer‘ (Johann Kosnetter, Nietzsche und das katholische Priesterbild, Wien 1969, S. 12). Ist das nicht im höchsten Grad seltsam und eigenartig, daß ausgerechnet dieser Mann so vom Priester spricht? Wahrhaftig, er hat die Bedeutung des Priesters gerade für unsere Zeit der moralischen Zersetzung und Verwilderung viel tiefer begriffen, als selbst so mancher Priester der heute seinen Stand verläßt. Und merkwürdig, auch Nietzsche gebraucht jenen Ausdruck, auf den wir den Akzent gelegt haben, der das Wesen des priesterlichen Seins und Tuns ausmacht: der Priester ist ein Menschenopfer. Mit dem sacrificium, mit dem Opfer steht und fällt das Priestertum, steht und fällt der Priester.
Und damit sind wir eigentlich schon bei dem letzten Gedanken angelangt, der mit dem eben Gesagten eng zusammenhängt. Ihr wißt, wie es heute mit dem Priesternachwuchs bestellt ist und ihr selbst habt erfahren, was es heißt keinen Priester mehr am Ort selber zu haben. … Aber nicht jede priesterlose Gemeinde hat das unverhoffte Glück ein Kloster zu bekommen. Sollte Eure Dankbarkeit nicht darin bestehen, einen Gebetskreuzzug zu beginnen, um Priesterberufe von Gott zu erbitten. Ein Beispiel, wie segensreich ein solches Gebet werden kann, gibt die Gemeinde Lu in Oberitalien. Der ‚Almanach (=kalendarisch angelegtes Jahrbuch) für das Bistum Münster‘ 1949 berichtet darüber: ‚Die Pfarrei Lu in Norditalien zählt 4.000 Seelen. Um 1870 war in Lu kein Priester mehr da. Einige Mütter fingen dann an, regelmäßig zusammenzukommen und gemeinsam um Priesterberufe zu beten. 1881 erhielt Lu wieder einen eigenen Seelsorger. Die Mütter hörten aber nicht auf, in diesem Anliegen zu beten. Einen Sonntag im Monat machten sie zu einem besonderen Tag des Gebets, feierten die hl. Messe … in diesem Sinne und beteten dann gemeinsam: ‚O Gott, gib, daß eines meiner Kinder Priester wird. Ich will als wahre Christin leben und will die Meinen zu allem Guten anhalten, damit ich dereinst die Gnade erlange, dir, o Herr, einen heiligen Priester schenken zu dürfen.‘ Aus der Gemeinde gingen auf dieses Gebets- und Opferleben hin 500 Priester- und Ordensberufe hervor. Auch sonst blüht das Pfarrleben: täglich wenigstens 160 heilige Kommunionen, 70.000 im Jahre, jede Familie hat im durchschnittlich 6 bis 9 Kinder. – Im September 1947 war eine Zusammenkunft der noch lebenden 235 Priester und Ordensleute. An die 200 waren da. Die anderen waren durch Alter, Krankheit oder zu weite Entfernung verhindert. Am Fest Mariä Geburt war eine große Dankprozession. Ein ergreifendes Bild: das ganze Volk von Lu geht mit den Reihen ihrer erwählten Söhne und Töchter in der Prozession mit. Der Gottesmutter Bild wird mitgetragen. Die Priester begleiten das Allerheiligste, dem sie dienen‘ (Dr. A. Schuldis, Werk aller Werke, Freiburg 1953, S. 80).
Könnte nicht auch in unserem Bistum ein solches Lu entstehen? Man spricht heute nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil so viel von der Mündigkeit der Laien. Diese Mündigkeit bedeutet, Verantwortung mitzutragen für die Kirche. Diese Verantwortung besteht aber nicht darin, überall mitzureden und mitzuentscheiden, sondern vor allem mitzubeten und mitzuopfern für die Kirche, für die Welt, für den Frieden in der Welt, für die Hungernden in der Welt und nicht zuletzt für die geistlichen Berufe.
So möge denn von diesem Lichtmeßtag, von diesem Priesterweihetag ein Licht ausgehen in diese Gegend und in unser ganzes Bistum gemäß der Mahnung des Apostels: ‚Nun aber seid ihr Licht im Herrn; wandelt als Kinder des Lichtes‘ (Eph. 5,8). Diese Mahnung gilt aber vor allem Ihnen, lieber neugeweihter Priester, ein Licht zu sein zur Erleuchtung der Heiden, das heißt der vielen heute nicht mehr Glaubenden und Zweifelnden; … Licht zu sein, … daß sie, wie wir in den preces (Fürbitten) beten, erkennen den einzig wahren Gott und den du gesandt hast, Jesus Christus. Maria aber, deren Seele nach Simeons Weissagung vom Schwert des Schmerzes gerade heute durchbohrt ist, möge unsere Bitten tragen zu ihrem Sohn und vor den dreifaltigen Gott. Amen.
(aus: Graber, Rudolf [Sammlung] „Froher Glaube“: Predigten, Ansprachen, Vorträge, mit einem Vorwort von Johannes Auer -1. Aufl.- Regensburg: Pustet, 1976)