von P. Miguel Stegmaier
„Ist er auch als Sünder gestorben… so sollst du ihm doch so viel als möglich zu Hilfe kommen, nicht mit Tränen, sondern mit Gebet und Flehen, mit Almosen und Opfern.“ (hl. Johannes Chrysostomus, hom. 41. in ep. I Cor. 4. 5.)
1. Was ist das?
„Nach katholischer Glaubenslehre verstehen wir unter Fegfeuer den Vorgang der sittlichen Läuterung, in der die Seelen der Gerechten des Eintritts in das Himmelreich würdig werden (Offb. 21, 27), wenn sie entweder mit läßlichen Sünden aus diesem Leben geschieden sind oder noch zeitliche Strafe für ihre schon vergebenen Sünden abzubüßen haben“ (Cfr. C. Gröber, Handbuch der religiösen Gegenwartsfragen, Freiburg i.B. 1940, S.292)
Das Fegfeuer ist nach katholischer Lehre nicht so sehr ein Ort, als vielmehr ein Zustand der Läuterung, in dem die Seelen der Verstorbenen, die im Stand der Gnade gestorben sind, aber noch lässliche Sünden oder zeitliche Sündenstrafen abzubüßen haben. Es ist ein Zustand der Strafe und Läuterung bis zur vollen Reinheit und damit zum Eintritt in den Himmel. Das Strafleiden besteht hauptsächlich im Ausschluss von der Anschauung Gottes. Es ist ein Schmerz der Seele; Sehnsucht und Heimweh nach Gott.
2. Die Lehre vom Fegfeuer ist kirchlicher Glaubenssatz, Dogma. Die Kirche, die sehr wohl um die große Verantwortung gegenüber der Lehre Christi und auch für die Gläubigen weiß, hat immer daran festgehalten. Sie hat den Satz Luthers verworfen (Cfr. Konzil von Trient, sess. 25: decretum de purgatorio, 3. Dez.1563): „Das Fegfeuer kann nicht aus der Schrift bewiesen werden.“
Die Kirche stützt sich dabei vor allem auf folgende Schriftzeugen:
A) 1 Makk 12, 40-46 – „Judas der Makkabäer und seine Leute wandten sich zum Gebet und flehten, dass die begangenen Sünden (Götzendienst der Gefallenen) gänzlich vergeben werden möchten. Dann veranstaltete er seine Sammlung unter seinen Leuten und brachte 2000 Drachmen Silber zusammen. Diese sandte er nach Jerusalem, damit ein Sündopfer dargebracht würde, damit sie von ihren Sünden erlöst würden. Ein heiliger und frommer Gedanke. Das war eine sehr schöne und edle Handlung, weil er an die Auferstehung dachte.“
B) 1 Kor. 3, 11-15 – „…Er wird gerettet, jedoch nur wie durch Feuer…“ – Aus dem Feuer der Hölle aber wird niemand gerettet.
C) Matth. 5, 25 und Lk. 12, 58 ff. – In einer Gleichnisrede spricht der Herr von einem Gefängnis, aus dem niemand herauskommt, bevor die Schuld bis auf den letzten Heller bezahlt ist: „Verzeihe…, sonst könntest du in den Kerker geworfen werden. Ich sage dir, du kommst dort nicht heraus, bis du den letzten Heller bezahlt hast.“ – Also ist dort noch eine „Abzahlung“, eine Tilgung möglich.
D) Matth. 12, 32 – Christus selbst spricht: „Wer gegen den Heiligen Geist sündigt, findet keine Vergebung, weder in dieser noch in der zukünftigen Welt.“ – Also kann auch in der zukünftigen Welt noch Sünde nachgelassen oder vergeben werden. Es gibt also eine dritte, wenn auch zeitlich beschränkte Möglichkeit.
3. Haupträger der Fegfeuerlehre ist die Überlieferung und die Kirchenväter.
a) Clemens von Alexandrien (vor † 215): Er nimmt mit Plato an, daß die Strafen Gottes nur zur Läuterung dienen. Plato sagte: „Wer Strafe erleidet, erfährt eine Wohltat“ (Paed 1, 8). Dieses Wort wendet Clemens aber nicht ausdrücklich auf die Höllenstrafe an.
b) Tertullian († 220): Er kennt einen Zustand des Sühneleidens nach dem Tode. Mit Ausnahme der Märtyrer bleiben die Verstorbenen bis zum Tage des Herrn in der Unterwelt und erleiden dort Peinen (supplicia) aus denen sie durch fürbittendes Gebet der Lebenden in das refrigerium geführt werden. Er bezeugt schon die Gewohnheit, für die Verstorbenen Fürbittgebete und Gaben darzubringen, vor allem das heilige Messopfer. (Cfr. An 51, 58; Resurr 43; Monog 10, usw.)
c) Origenes († 255): Er hält an der Existenz des Fegfeuers fest. Ein Hauptpunkt der Origeneslehre war die Wiederherstellung aller Seelen: bzw. die Seelen derer, die auf Erden gesündigt haben, kommen nach dem Tode in ein Läuterungsfeuer; aber allmählich steigen alle, auch die Teufel, von Stufe zu Stufe höher und werden schließlich ganz gereinigt in ätherischen Leibern auferstehen, die den jetzigen nur an Gestalt gleichen, nicht dem Stoffe nach identisch sind, und Gott ist wieder alles in allen. Jedoch diese Wiederherstellung bedeutet nicht das Weltende, sondern nur einen vorläufigen Abschluß. (Cfr. Über die Purgatio (Reinigung) durch Christus im Jenseits [Fegfeuer] wird in HomLev 8, 5 behandelt)
d) Cyprian von Karthago († 258): Wie die alte Kirche allgemein, so glaubte auch Cyprian, daß die Märtyrer sofort in die Anschauung Gottes eingehen; die übrigen aber müssen nach dem Tode noch der Verzeihung harren und im Kerker warten, bis der letzte Heller bezahlt ist (Ep 55, 20). Er kennt also eine Reinigung nach dem Tode.
e) Ephräm der Syrer († 373): In seinem Testament bittet er: „Sind 30 Tage nach meinem Tode verflossen, so bringet für mich das heilige Opfer dar; denn es wird den Toten geholfen durch die Opfer, welche die Lebenden darbringen“ (EP 741)
f) Cyrill von Jerusalem († 386): Er wiederlegt diejenigen, welche meinen, daß denen, welche als Sünder gestorben sind, die Fürbitte nichts nützen könne, durch ein Gleichnis. Ein König vergibt auch seinen schuldigen und verbannten Untertanen auf die Fürbitte der Angehörigen derselben; wir bringen für die verstorbenen Sünder und für unsere eigenen Sünden das geschlachtete Opferlamm dar, um ihn uns und ihnen gnädig zu stimmen: Wir bringen Christus, der für unsere Sünden sich geopfert hat, für die verstorbenen Sünder und für unsere eigenen Sünden den liebevollen Gott dar.
g) Ambrosius von Mailand († 397): Er läßt seine Trauerreden in Fürbitten für die Toten ausklingen und bringt für sie das eucharistische Opfer dar (vgl. auch Ep 39). Der Tod sei ein Gut (ExcFratr 2) und „alle müssen durch das Flammenmeer hindurchgehen, und mag es Johannes sein“ (Ps 118), die Gerechten wie Israel durch das Rote Meer (Ps 38), die Ungläubigen wie Pharao: für sie wird es „ultor ignis“ (das strafende Feuer) von ewiger Dauer (Ps 36); den endgültigen Spruch erfahren Gerechte und Ungläubige formell beim Endgericht, auch die dritte Klasse, die Sünder, die wieder in zwei Gruppen unterschieden werden, je nachdem gute oder böse Werke überwiegen. Die zweite Gruppe erleidet das Schicksal der Ungläubigen (Ep 2); für die erste Gruppe werden die Flammen zum Reinigungsfeuer, dem dann das Paradies folgt (Ps 1).
h) Johannes Chrysostomos (†407): „Bringen wir ihnen Hilfe und halten wir ein Gedächtnis an sie. Wenn doch die Söhne Jobs durch das von ihrem Vater dargebrachte Opfer geläutert wurden1, wie sollten wir dann daran zweifeln, daß unsere Opfergaben für die Toten ihnen Trost bringen? Zögern wir nicht, den Verstorbenen Hilfe zu bringen und unsere Gebete für sie aufzuopfern.“ (Hom. In 1 Cor. 41, 5)
i) Augustinus († 430): Er berichtet, dass seine Mutter Monika in einem Gespräch den Wunsch äußerte: „Begrabet meinen Leib, wo ihr wollet; nur darum bitte ich euch, daß ihr am Altare des Herrn stets meiner gedenket.“ (Bekenntnisse)
j) Caesarius von Arles: Er schreibt: „Es mag vielleicht jemand sagen. Ich bekümmere mich wenig um die Zeit, die ich im Fegfeuer zubringen werde, wenn ich nur zum ewigen Leben gelange. Allein Gott gefällt eine solche Denkart nicht. Alle Qualen dieses Lebens können mit jenen des Reinigungsortes nicht in Vergleich gesetzt werden. Und wer weiß denn, wie viele Tage, Monate, Jahre er dort bleiben muß? Man würde sich fürchten, eine lange Zeit in der verzehrenden Flamme zu sein?“
k) Gregor der Große († 604): „Man muß glauben, daß es vor dem Gericht für gewisse leichte Sünden noch ein Reinigungsfeuer gibt, weil die ewige Wahrheit sagt, daß wenn jemand wider den Heiligen Geist lästert, ihm ‚weder in dieser noch in der zukünftigen Welt‘ vergeben wird (Mt 12, 32). Aus diesem Ausspruch geht hervor, daß einige Sünden in dieser, andere in jener Welt nachgelassen werden können.“ (Dial. 4, 39)
l) Thomas von Aquin († 1275): Der größte Theologe begründet das Fegfeuer.
Alle diese großen Theologen wollten doch rechtgläubige und schrifttreue Christen sein.
Seit dem Jahr 1000 gibt es ein allgemeines Fest: Allerseelen.
1. Die theologische Vernunft fordert ein Fegfeuer, denn: „nichts Unreines kann in den Himmel eingehen“ (Weisheit 7, 25; Isaias 35, 8). Wer aber ist ganz rein von jeglichem Makel? Es ist aber ungerecht, für kleines Vergehen die Höllenstrafe zu fordern. Also bleibt nur ein Zwischenzustand der Läuterung und Vorbereitung auf den Himmel, das Fegfeuer. Das ist sehr tröstlich: „Tröstet miteinander mit diesen Worten.“
2. Auch die Liturgie und Gebetspraxis der Kirche bezeugt eindeutig den Glauben an das Fegfeuer. Seit den frühesten Zeiten betet sie für die Verstorbenen und kommt ihnen zu Hilfe durch Gebet, vor allem durch das Messopfer, durch Opfer und Werke.
Schon in den Katakomben finden wir viele Hinweise; z.B.: „Betet für Emilia!“ – usw. Der hl. Johannes Chrysostomos z.B. beruft sich sehr triftig auf die Anordnung der Apostel, welche in der Liturgie für die Verstorbenen zu beten vorschreiben: eine Übung, die doch nicht nutzlos sein könne. „Die Apostel wußten recht wohl, daß den Abgeschiedenen daraus großer Nutzen zufließt. Wenn nämlich das gesamte Volk mit aufgehobenen Händen dasteht mit der ganzen Schar der Priester und das schauererregende Opfer auf dem Altare liegt: wie sollten wir da nicht durch unsere Bitten für sie das Herz Gottes erweichen. Deshalb beten wir voll Zuversicht für die ganze Welt und gedenken der Verstorbenen neben den Märtyrern, neben den Bekennern und Priestern. Denn wir alle machen ja nur einen Leib aus, wiewohl ein Glied vorzüglicher ist als das andere, und es ist möglich, daß wir durch die Gebete und Opfer und durch die Fürbitte derjenigen, deren Namen wir mit den übrigen nennen, ihnen volle Verzeihung erlangen“ (hom. 41. In ep. I Cor. 4. 5.).
Häufig werden auf den Grabschriften der Katakomben die Seelen der Verstorbenen den heiligen Märtyrern empfohlen. So schon auf zwei Epitaphien des III. Jahrh. Auf dem Grabe des zweijährigen Knaben Paulus heißt es: „In pacem te suscipian(t) omnium ispirita sanctorum“ (In Frieden empfangen [begrüßen] dich alle Seelen der Aller Heiligen).
Die Grabinschriften sind überhaupt die ältesten Dokumente für die Fürbitte für die Abgeschiedenen, sie liefern also sozusagen einen monumentalen Beweis. Aus der Katakombe der Priscilla, aus dem 2. Jahrh., finden wir die schöne Akklamation „Pax tecum“, „Pax tibi“ (Friede sei mit dir) und die noch deutlichere Grabschrift: ho kýrios metà soû (Dominus tecum, der Herrist/sei mit dir), und ein Fragment: „Spir(itus tuus) requiescat [in Deo] (Dein Geist ruhe in Gott).
1. Auch psychologisch ist es sehr angemessen und erwünscht, dass man lieben Menschen auch nach dem Tode noch etwas Gutes tun kann: die Mutter dem Kind, das Kind der Mutter. Wenn die helfende Liebe das erste Gebot ist, dann wäre es doch unangemessen, wenn hier gar keine Möglichkeit mehr gegeben wäre, diese Liebe zu üben und dem anderen zu helfen.
Zudem soll doch auch der Mensch alles tun, was er kann, um das Böse wieder gutzumachen. Schon dem Kind verzeihen die Eltern zwar, verlangen aber irgendeine zumutbare Gutmachung.
Wenn Gott nicht ähnlich handelt, dann könnte es so scheinen, als ob die Sünde weiter nicht von Bedeutung wäre, oder als ob Gott sie gar nicht so ernst nähme. Das passt aber nicht zu seinem Kreuz. Man würde auch die menschliche Verantwortung nicht ernst genug nehmen, wenn es doch ziemlich egal wäre, ob man viel und schwer sündigt oder nicht, da ja Gott am Ende sowieso alles erledigt. Dadurch wäre der Mensch entwürdigt, denn es drängt den sittlich normalen Menschen, auch selbst wieder gutzumachen, soviel er kann, Genugtuung zu leisten, um so auch seine Reue und seinen guten Willen zu zeigen. Dabei weiß der Christ sehr wohl, dass er niemals von sich aus „genug tun“ kann. Je unsicherer und problematischer einem das Fegfeuer erscheint, desto mehr bemühe er sich, dass er es nicht braucht, sondern heilig und makellos gleich in den Himmel eingehen kann.
2. Verzerrungen der Fegfeuerlehre sind abzulehnen und streng zu meiden. Ein Aufrechnen von Schuld und Strafe ist uns verwehrt. Das ist allein Gottes Sache. Es ist auch völlig verfehlt, über die Dauer des Fegfeuers für den einzelnen eine Zeitberechnung anzustellen, denn Ewigkeit ist nicht Zeit
Ebenso unsinnig wäre es, berechnen zu wollen, wie viele heilige Messen oder Ablässe oder Rosenkränze usw. jemand noch braucht, bis er aus dem Fegfeuer erlöst wird, zumal alle unsere Hilfen immer nur in Gottes Hand gelegt werden können, damit er sie wirksam werden lässt, wem und wie er will. Vor allem aber ist es freventlich, das Fegfeuer bzw. die armen Seelen als Auskunftsbüro über Dinge im Jenseits zu missbrauchen.
Es ist zwar durchaus möglich und viele bezeugen solche Tatsachen glaubwürdig (Cfr. Mein Verkehr mit Armen Seelen, Maria Anna Lindmayr O.C.D. Oder die Visionen von hl. Katharina von Siena, usw.), dass Gott einzelnen Verstorbenen erlaubt, mit Angehörigen irgendwie in Beziehung zu treten – warum auch nicht? – aber das sind ganz private Dinge, und angebliche Auskünfte der armen Seelen sind mit größter Vorsicht zu betrachten.
Und wenn jemand unsere Fürbitte gar nicht mehr nötig hat, weil er nicht mehr im Fegfeuer ist? Dann wird Gott unsere Liebestat sicher gütig aufnehmen und wirksam werden lassen.
„Wie lange das Fegfeuer dauert, nach welchen Regeln die Dauer von Gott festgesetzt wird, ist uns völlig unbekannt; denn die Zeitbestimmungen, welche in den Offenbarungen und Fegfeuergeschichten mitgeteilt werden, entbehren der nötigen dogmatischen Sicherheit, um von der Glaubenswissenschaft verwertet, oder auch nur von den Gläubigen zur Richtschnur ihres Verhaltens gemacht werden zu können. Unbegreiflich ist, wie Domingo de Soto, O.Pr. (spanischer Philosoph und Dogmatiker, um 1500, † 1542) und Juan Maldonado, S.J. (spanischer Exeget, 1534, † 1583) behaupten konnten, keine Strafe des Fegfeuers dauere über 10 Jahre. Diese Meinung wurde „implizite“ verurteilt durch die Zensur, welche Papst Alexander VII. (1655-1667) über den falschen Satz der Jansenisten: „Annum legatum pro anima relictum non durat plus quam per Decem annos“ aussprach (Der jährliche Legat, der für die Seele nachgelassen worden ist, dauert nicht länger als zehn Jahre) [Omnes damnatae et prohibitae ut minimum tamquam scandalosae, diese Ansichten sind mindestens als skandalös verurteilt und verboten worden] (D. 1014)